Patienten, die einen Herzstillstand überleben, leiden im Nachhinein besonders häufig unter psychischen Belastungsstörungen und entwickeln starke Ängste um ihr Herz (Foto: HELIOS/Csaba Deli)
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Duisburg. Viele Betroffene, aber kaum ein Thema: Patienten, die einen Herzstillstand überleben, leiden im Nachhinein besonders häufig unter psychischen Belastungsstörungen und entwickeln starke Ängste um ihr Herz. Warum das so ist und welche Therapieansätze es bei der auch Herzneurose genannten Erkrankung gibt, erklären die beiden Experten Dr. Ammar Ghouzi, Leiter der Intensivmedizin und Oberarzt der Kardiologie und Dr. Simon Cohen, Chefarzt der Psychiatrie und Psychologie, am Helios Klinikum Duisburg.

Was der Volksmund schon lange weiß, hat auch die Forschung längst bestätigt: Herz und Seele sind eng miteinander verbunden. Nicht umsonst spüren wir bei starken Gefühlen ein Klopfen in der Brust oder leiden bei Liebeskummer unter realen Herzschmerzen. Dauerhafte psychische Belastungen können das Herzkreislaufsystem so nachweisbar beeinflussen, vor allem durch die Ausschüttung von Stresshormonen.

Diese enge Symbiose bekommen besonders Menschen zu spüren, deren Herz schon einmal versagt hat. Die Angst, dass es sie wieder im Stich lässt, begleitet die Betroffenen dann meist rund um die Uhr. Mediziner nennen das Phänomen Kardiophobie oder Herzneurose: funktionelle Herzschmerzen – oft in Begleitung von heftigen Ängsten und Stresssymptomen – für die es aber keine nachweisbare organische Ursache gibt. „Allein in Deutschland leiden schätzungsweise mehr als 100 000 Patienten unter diesem Phänomen, oft ausgelöst durch das traumatische Erlebnis eines vorherigen Herzstillstandes“, erklärt Dr. Ammar Ghouzi, Leiter der internistischen Intensivstation und Kardiologie am Helios Klinikum Duisburg. Er begleitet täglich Patienten, die sich nach einer schweren kardiologischen Erkrankung zurück ins Leben kämpfen. Die Gewissheit „gerade noch einmal davongekommen zu sein“ verändere die Wahrnehmung der Betroffenen, sie achten sehr auf ihr Herz und schon bei geringfügig verändertem Rhythmus kehrt die Erinnerung und somit die Todesangst zurück. „Viele kommen dann über die Notaufnahme wieder zu uns, weil sie von einem erneuten bevorstehenden Herzinfarkt ausgehen“, so Ghouzi. Nur aufwendige Untersuchungen und die Zusicherung des Arztes, dass das Herz in Ordnung ist, könnten die Patienten dann noch beruhigen. Bis zum nächsten unregelmäßigen Schlag.

Dr. Ammar Ghouzi, Leiter der Intensivmedizin und Oberarzt der Kardiologie am Helios Klinikum Duisburg (Foto: HELIOS)

Auf der anderen Seite gibt es auch viele Betroffene, die sich gar nicht erst in die Notaufnahme oder zum Arzt trauen beziehungsweise nicht wiederkehrend dort auftauchen wollen. Sie leiden still oder übertragen ihre Sorgen auf Familie und Partner. So oder so, der Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten ist enorm. Auch deshalb wäre es wichtig, diese möglichen Folgen nach einem durchlebten Herzstillstand schon frühzeitig zu thematisieren. Im Helios Klinikum Duisburg führen die Ärzte deshalb noch während des Aufenthaltes der Patienten ein Gespräch über die möglichen emotionalen Folgen nach einem solchen Trauma. „Wir gehen dabei bewusst sehr offen mit dem Thema um und zeigen den Patienten etwa den Film der Herzkatheteruntersuchung oder Fotoaufnahmen während der intensivmedizinischen Therapie“, so Dr. Ghouzi. Auch stellt die Station den Angehörigen ein Tagebuch zur Verfügung, dass sie während einer längeren Komaphase für den Betroffenen führen können. „Wir bleiben zudem auch nach der Entlassung mit den Patienten in Kontakt, kümmern uns um die Nachsorge und haben eine eigene Hotline und Emailadresse dafür den Ernstfall eingerichtet.

Was aber kann den Betroffenen helfen? „Man muss sich zunächst klarmachen, dass die Patienten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Sie haben eine Nahtoderfahrung durchlebt, die ihre bisherige Perspektive vollkommen verändert hat“, fasst Dr. Simon Cohen, Chefarzt der Psychiatrie, Psychotherapie und Gerontopsychiatrie am Helios  Klinikum Duisburg die Patientensicht zusammen. Auch haben die Patienten eine Art Druck, dankbar und glücklich sein zu müssen, weil sie die schwere Krankheit überlebt haben. Manchmal spielen zudem weitere Faktoren eine Rolle, etwa eine übertriebene Verlustangst, fehlende Anerkennung oder zunehmender Stress. Helfen können den Patienten in der akuten Phase zunächst Entspannungsübungen, möglicherweise auch Medikamente zur Beruhigung. Langfristig aber sollten sie eine Psychotherapie, oftmals in Kombination mit einer Verhaltens- und Bewegungstherapie, in Anspruch nehmen. „Die Stärkung des Selbstwertgefühls und die verbesserte Wahrnehmung des eigenen Körpers stehen dabei im Vordergrund“, so Cohen. Die Patienten lernen dabei, sich und ihrem Körper wieder zu vertrauen, aber auch, das Erlebte zu verarbeiten.

Dr. Simon Cohen, Chefarzt der Psychiatrie und Psychologie, am Helios Klinikum Duisburg (Foto: HELIOS)

Bleibt die Herzneurose unbehandelt, kann sie unter Umständen einen zunehmend schlimmeren Verlauf nehmen. Betroffen können im Übrigen auch Menschen sein, die noch keine kardiologische Erkrankung hinter sich haben. Doch die Wahrscheinlich ist nach einem Herzstillstand noch einmal deutlich erhöht. Die Patienten wechseln dann von Arzt zu Arzt, da sie den fehlenden organischen Befund nicht akzeptieren können und geraten in eine Art Angstspirale. Wichtig ist daher auch die Sensibilisierung der Angehörigen bei kardiologischen Notfällen, am besten bereits während des Krankenhausaufenthaltes. Das weiß auch Dr. Ghouzi: „Wir beziehen die Familie sehr eng in die Therapie und vor allem in die Entlassung mit ein, um genau das zu erreichen.“

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