Jochen Lobnig (l.) mit Markus Wetzler im Landtagswahlkampf 2017 in Moers (Foto: Christian Voigt/LokalKlick)
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Neukirchen-Vluyn/Moers/Krefeld. Die Piraten, die Boom-Partei der letzten Legislaturperiode, konnten bei der Landtagswahl im Mai nicht mehr in das Düsseldorfer Parlament einziehen (1,0 Prozent / Verluste 6,8 Prozent). Christian Voigt sprach mit dem Neukirchen-Vluyner Jochen Lobnig, einem Piraten der ersten Stunde am Niederrhein, u.a. über die Zukunft der Piratenpartei: Sind sie endgültig gekentert oder schafft es eine Piratenflotte mit frischem Wind in den Segeln den politischen Mainstream erneut aufzumischen?

Herr Lobnig, Ihr Einsatz im Wahlkreis Moers/Neukirchen fand große Beachtung und Sympathien, dennoch sind die Piraten bei der Landtagswahl sang- und klanglos untergegangen. Wieviel Motivation bedurfte es jetzt, dass Sie in Moers, Neukirchen-Vluyn und im Krefelder Norden – dem Bundestagswahlkreis 114 (Krefeld II – Wesel II) – als Bundestagskandidat antreten?

Jochen Lobnig: Kaum. Der Spaß an der politischen Arbeit ist bei einer Mitmachpartei ohnehin vorhanden. Der Glaube an unser sehr starkes Wahlprogramm, welches gerade den Schutz des Grundgesetzes, Menschen- und Bürgerrechte, Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut, Stärkung von Bildung und Forschung , Entlastung der Erziehenden, Stärkung der Pflege usw. beinhaltet, macht es mir sehr leicht gerade für die Zukunft der nachfolgenden Generationen eine Veränderung der derzeitigen, in Legislaturperioden denkenden Parteien, einen Gegenpol zu setzen. Dabei ist für mich postfaktische Polemik fehl am Platz.

Als noch nicht im Bundestag vertretende Partei, müssen die Piraten in jedem Wahlkreis Unterstützerunterschriften nachweisen. Sind Sie im Soll?

Jochen Lobnig: Nun, wir benötigen 200 Unterstützungsunterschriften von Wahlberechtigten Personen aus dem Wahlkreis Krefeld II – Wesel II. Stand heute, benötigen wir für mich noch 50 Unterstützungsunterschriften. Es bleibt also bis zum letzten Tag spannend, da wir diese in unserer Freizeit einholen müssen. Wir sammeln seit dem Erhalt der Formulare am 30. Juni. In dieser doch recht kurzen Zeitspanne mehr als die 3/4 der erforderlichen Unterschriften von Bürgern erhalten zu haben zeigt mir, dass wir mit unserer Politik bei einigen Demokraten angekommen sind. In den Gesprächen auf der Straße werde ich von vielen Menschen bestärkt, uns wieder nach vorne zu bringen.

Wenn es nochmal eine Trendwende für die streitbaren Piraten gebe und Sie in den Bundestag einziehen könnten, welche Ziele verfolgen Sie?

Jochen Lobnig: Die Politik der letzten Jahrzehnte führte zu mehr sozialer Ungerechtigkeit, Kinderarmut, Altersarmut, Schwächung vieler unserer Kommunen und einem diffusem Gefühle der Unsicherheit.

Wichtigstes Ziel ist die Bekämpfung der Kinder- und Altersarmut sowie die stärkere Unterstützung gerade von gering verdienenden Erziehenden. Hierbei ist die steuerliche Gleichstellung der Alleinerziehenden ein großes Anliegen.

Als Polizist und Liberaler will ich aber die Sicherheitspolitik wieder auf den Boden des Grundgesetzes bringen.

Bitte ergänzen Sie: Pirat sein, heißt für mich,  …

Jochen Lobnig: … für alle Menschen weit in die Zukunft zu denken, auf Menschen und Bürgerrechte zu achten und unser Grundgesetz zu beschützen. Dabei ist es für mich besonders wichtig den Menschen zuzuhören, ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen. Allerdings weiß ich auch, dass nicht alle Probleme in eine Legislaturperiode umgesetzt werden können. Manches braucht seine Zeit. Und vor allem eine Mehrheit in den jeweiligen Parlamenten.

Kleines lässt sich aber auch mal schnell umsetzen: So versuchen wir gerade mit https://openantrag.de/neukirchen-vluyn unseren Bürgern einen direkten Draht in den Rat zu ermöglichen.

Müssten die Piraten etwas ändern, um wieder erfolgreich in Stadträte und Parlamente einzuziehen?

Jochen Lobnig: Da waren die Wahlergebnisse zuletzt offensichtlich. Wir haben aber ein tolles Programm und lernen immer weiter dazu. Unsere konstruktive Arbeit in den Parlamenten wird aber kaum wahrgenommen. Vielleicht, weil wir uns nicht im System einrichten wollen, sondern es upgraden. Die Positionen der Piraten zu Netzpolitik und BGE finden sich mittlerweile in den Kommentarspalten aller renommierten Zeitungen. Nur eben ohne uns.

Politik ist aber auch ein Marathon und kein Sprint.

In der Bundes- und Landespolitik sehen Sie welche Themen als besonders dringlich an?

Jochen Lobnig: Bildung muss endlich mehr als ein Lippenbekenntnis sein.

Kommunikations- und Datentechnik müssen in Bund und Ländern kompatibel werden. Nur so kann es unter Beachtung von Datenschutz/innerbehördlichen Austausch gelingen, Straftäter und Gefährder früher zu stoppen. Bekannt waren sie fast alle. Hierbei sind selbstverständlich die gesetzlich vorgegebenen Regeln einzuhalten.

Blinder Gesetzgebungsaktionismus bringt uns da nicht weiter. Unsere Verfassungsrichter verkommen aber auch zu Erziehungsberechtigen des Gesetzgebers. Die Gesetzgebung war zu oft schlechtes Handwerk.

Wir höhlen unser Grundgesetz aus für eine Illusion von Freiheit. Letztlich müssen wir uns fragen, ob wir nicht mehr Freiheitsrechte aufgeben, die wir ja ursprünglich bewahren wollten.

Sie vertreten die Piraten im Rat der Stadt Neukirchen-Vluyn, Herr Lobnig. Ihre Visionen und Ideen für Ihre Stadt sind …

Jochen Lobnig: Neukirchen-Vluyn ist als Standort unglaublich attraktiv und bleibt da weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Die Stadtteile müssen weiter zusammenwachsen. Ich denke bei der Entwicklung des Niederberggeländes oft an die Möglichkeiten, hier endlich einen generationenübergreifenden Freizeit- und Aufenthaltsort zu entwickeln. Diesem Aspekt wird mir zu wenig Beachtung geschenkt.

Die jungen Menschen brauchen mehr Freiräume und Ausdrucksmöglichkeiten. Da können wir aktuell jedem Ehrenamtler in der Kommune nur dankbar sein.

Ein Traum wäre es, wenn jedes Kind bei Bedarf die Hebamme und den Kitaplatz bekäme und nicht nur den rechtlichen Anspruch hierauf.

Wie werden Sie Ihren Bundestagswahlkampf angehen? Welche Aktionen sind geplant?

Jochen Lobnig: Wir sind eine kleine Partei und müssen hierfür unsere ganze Freizeit einbringen. Es sind also eine gute Planung und Absprachen mit den höheren Gliederungen nötig. Dieser Prozess ist aktuell im Gang. Kommunal versuchen wir so oft es geht mit den Bürgern in direkten Kontakt zu kommen. An den Wochenmärkten und Podiumsdiskussionen sind wir immer gerne dabei. Wir suchen aber auch außerhalb des Wahlkampfes gerne Gespräche mit Vereinen.

Vielen Dank für diese Informationen, Herr Lobnig!

Jochen Lobnig: Danke für’s Gespräch, Herr Voigt.

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